Werner Seelenbinder

* 2. August 1904 in Stettin
† 24. Oktober 1944 in Brandenburg an der Havel

Seine Henker hatten nur wenig Zeit. 57 Gefangene sollten am 24. Oktober 1944 im Zuchthaus Brandenburg-Görden hingerichtet werden. Ein Sportler war unter ihnen. Die Hände auf den Rücken gefesselt, führten ihn zwei Beamte zum Schafott. Laut den Akten des Volksgerichtshofs legte sich der Gefangene „ohne Widerstreben“ unter das Fallbeil. Um 12.36 Uhr hatte der Scharfrichter sein Werk vollbracht. Werner Seelenbinder war tot – der letzte Kampf des Neuköllner Ringers verloren.

Werner Seelenbinder wuchs in proletarischen Verhältnissen auf. Die Familie zog von Stettin, wo Seelenbinder am 2. August 1904 geboren wurde, nach Berlin. Mit elf Jahren verlor er seine Mutter, sie starb im Kindbett. Als der Vater ein Jahr später zum Kriegsdienst eingezogen wurde, musste Werner Seelenbinder – selbst noch Kind – zusammen mit der Großmutter für seine beiden jüngeren Geschwister sorgen. Er arbeitete als Hilfstischler, Hotelpage und als Hausdiener in einer Fabrik. Erst viel später erhielt er eine feste Anstellung als Transportarbeiter in einem AEG-Betrieb. Werner Seelenbinder war früh mit den Ideen von Marx, Engels und Lenin in Berührung gekommen und hatte sich bald den Kommunisten und deren Widerstand gegen die Nationalsozialisten angeschlossen.

Die sportliche Karriere begann 1917 beim Arbeiter-Athletenclub „Eiche“, einem Verein für Ringen und Gewichtheben. Werner Seelenbinder konzentrierte sich auf den Ringkampf und startete für den Sportclub „Berolina“ in Berlin-Neukölln.

Bei der ersten Arbeiterolympiade 1925 gewann der engagierte Sportler die Goldmedaille, ein Jahr später siegte er beim internationalen Arbeiter-Turnier in Wien und auch bei der Spartakiade 1928 in Moskau errang er den ersten Platz. 1933, da hatten die Nazis schon die Macht an sich gerissen, Werner Seelenbinder war Mitglied der Kommunistischen Partei und im Widerstand aktiv, wurde er erstmals Deutscher Meister. Bei der Siegerehrung kam es zum Eklat, Werner Seelenbinder verweigerte den Hitlergruß. Sein sportlicher und politischer Weggefährte Erich Rochler erinnerte sich später: „Er war der Einzige, der es gewagt hat, bei einer Veranstaltung den Arm nicht zu heben. Er wagt es, denen zu zeigen, ich bin nicht für euch.“ Daraufhin wurde er von der Gestapo verhaftet und ins KZ am Columbiadamm verschleppt. Freunde im Ringer-Verband setzen sich für ihn ein und Werner Seelenbinder kommt frei. Anschließend bekam er ein Jahr Wettbewerbssperre und wurde aus der Sportvereinigung Ost ausgeschlossen. Bei der Olympiade 1936, als Propagandaveranstaltung der Nazis missbraucht, durfte er wieder antreten. Zu diesem Anlass legten die antifaschistischen Sportler um Werner Seelenbinder Informationen über die tatsächliche Situation im Faschismus in Programmhefte oder informierten ausländische Athleten. Ursprünglich wollte Seelenbinder als Zeichen des Protests bei der Siegerehrung den erwarteten Hitlergruß abermals verweigern und einen antifaschistischen Appell an die internationalen Gäste richten. Allerdings ging der Plan nicht auf. Nach zwei Niederlagen belegte Werner Seelenbinder Platz vier im olympischen Wettkampf. Nach Olympia wird er noch drei Mal Deutscher Meister und zieht sich 1938 ins Private zurück.

Um das nötige Geld zu verdienen, lässt er sich im Mariendorfer Eisenwerk Wannheim zum Schweißer ausbilden. Drei Jahre lang lebt er unbehelligt, bis er zufällig einen alten Freund wieder trifft und um einen Gefallen gebeten wird. Alfred Kowalke ist ein hoher Funktionär der verbotenen KPD und braucht ein Quartier. Werner Seelenbinder nimmt ihn bei sich auf, doch Spitzel haben es mitbekommen. Am 4. Februar 1942 dringt die Gestapo in seine Wohnung in der Glatzer Str. 6 in Friedrichshain ein. Zweieinhalb Jahre dauert die quälende Haft in sieben verschiedenen Gefängnissen und Straflagern im Umland Berlins. Schließlich verurteilte ihn der Volksgerichtshof Potsdam zum Tode und er wurde abgemagert und geschunden am 24. Oktober 1944 auf das Schafott geführt. Zuvor hatten die Nazis das dritte Gnadengesuch des sechsmaligen Deutschen Meisters abgeschmettert. Werner Seelenbinder wollte kein Märtyrer sein. Auch wenn die DDR später den überzeugten Kommunisten und Widerstandskämpfer zu einem ebensolchen machen sollte. Die SED manipulierte seinen Abschiedsbrief. Seine Biografie „Der Stärkere“ war eine retuschierte

Heldensage und Pflichtlektüre im sozialistischen System. Die Verehrung für den Ringer kannte im Osten Deutschlands keine Grenzen und noch heute tragen viele Schulen, Sportstätten und Straßen in Ostdeutschland seinen Namen. Im Westen der Bundesrepublik dagegen erinnert kaum etwas an den großen, aufrichtigen und mutigen Sportsmann. Ganz persönliche Erinnerungen verbindet Otto Rochler mit Werner Seelenbinder. Sein Vater Erich Rochler und Werner Seelenbinder waren Kampfgefährten. Als Erich Rochler verhaftet wurde, schwieg Werner Seelenbinder: „Das rettete meinem Vater das Leben.“ Unter dem Datum seines Todestags, dem 24. Oktober 1944, ist Werner Seelenbinders Abschiedsbrief überliefert: „Die Stunde des Abschieds ist nun für mich gekommen. Ich habe in der Zeit meiner Haft wohl alles durchgemacht, was ein Mensch so durchmachen kann. Krankheit und körperliche und seelische Qualen, nichts ist mir erspart geblieben. Ich hätte gerne gemeinsam mit Euch, mit meinen Freunden und Sportkameraden, die Köstlichkeiten und Annehmlichkeiten des Lebens, die ich jetzt doppelt zu schätzen weiß, nach dem Krieg mit Euch erlebt. Es waren schöne Stunden, die ich mit Euch verlebt habe, und ich habe in meiner Haftzeit davon gezehrt und mir diese herrliche Zeit zurück gewünscht. Das Schicksal hat es nun leider nach langer Leidenszeit anders bestimmt. Ich weiß aber, daß ich in den Herzen von Euch und auch bei vielen Sportanhängern einen Platz gefunden habe, den ich immer darin behaupten werde. Dieses Bewußtsein macht mich stolz und stark und wird mich in letzter Stunde nicht schwach sehen.“


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